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Die Palimpseste von Peter Jacobi


Das Material, das Peter Jacobi in seinem Werk gebraucht, ist nicht, wie es auf den ersten Blick scheint, einer der traditionellen und mehr oder weniger edlen Stoffe der Bildhauerei wie Stein, Bronze, Stahl, Beton, Glas, Holz, auch nicht Wasser, Salz, textile Faser, Haar oder ein anderer unkonventioneller Stoff, wie es in der zeitgenoessischen Kunst reichlich vorkommt, noch weniger Fotopapier oder vom Rechner erzeugte virtuelles Bild (das freilich immer oefter in der Gestaltung seiner kuenstlerischen Absichten und Haltung gebraucht wird), vielmehr ist die Zeit  Jacobis Stoff. Er arbeitet mit der Zeit, ueber die Zeit und geht vielleicht sogar gegen die Zeit.

Trotz ihrer Vielfalt bilden seine Werke einen einheitlichen kuenstlerischen Parcours, dessen Themen sich polyphonisch verflechten, einen Sinn staendig umkreisen und durch Begriffe wie Gedaechtnis, Gedenken, Erinnerung, Vergessen bezeichnet werden koennen. Man kann den Einwand aeussern, dass ein solcher Versuch, Peter Jacobi zu charakterisieren von Anfang an scheitert, weil die traditionelle Skulptur allgemein vom Begriff der Gedenkfeier nicht zu trennen ist und das Denkmal selbst, sei es eine Grab- oder eine Gedenkstaette, eine Betrachtung ueber die Zeit ist. Wir koennen nicht uebersehen, dass die Moderne ein schwieriges Verhaeltnis zum Monument und zur Monumentalitaet hat und dass man seit Rodin von einem Verfall des Denkmals spricht. Rosalind Krauss machte einmal den Vorschlag, uns eine negative Geschichte der modernen Bildhauerkunst vorzustellen, die Geschichte eines Misserfolgs. Und die waere eben die fehlgegangene Geschichte des Zusammentreffens der modernen Skulptur mit dem Monument und dem Monumentalen. Die moderne Bildhauerei als eigenstaendige, selbstbezogene Schoepfung weigerte sich, einer Funktion zu dienen; eine Tatsache, die zweifellos selbst das Wesen des Denkmals untergrub.

Wenn ein zeitgenoessischer Bildhauer das Nachdenken ueber die Zeit in den Mittelpunkt seiner Kunst stellt, sehen wir ein persoenliches Vorgehen, in dem wir eine Kritik der klassischen Moderne erkennen koennen, von der aber Peter Jacobi behauptet, dass er ihr selbst angehoert. Peter Jacobi glaubt weiterhin an die "reine Schoenheit der geometrischen Form". Paradoxerweise erreichen seine geometrischen Formen ihre Einfachheit und Reinheit eben aufgrund der komplexen Art ihrer Erarbeitung. Hier koennte ein beruehmter Gedanke Brancusis zitiert werden: "Einfachheit ist geloeste Komplexitaet". Die Variationen zum Thema der sich ueberlappenden und ineinander gleitenden Ringe, die Bodenskulpturen, die eine Art Vorstellung idealer Raeume darstellen, die modularen Saeulen (bei einigen sind Senkrechte und Waagerechte umkehrbar) verkoerpern primaere, elementare Strukturen, die jeden Einfluss der figurativen Tradition der Bildhauerei zurueckweisen. Man hat die Vorliebe der Minimalisten fuers Horizontale, deren Aesthetik Jacobi sich annaehert, sogar als "Ablehnung des Anthropozentrismus" (Margit Rowell) ausgelegt. Das Material seinerseits behauptet sich in diesen Werken Jacobis in seinen kennzeichnenden Merkmalen. "Ich liebe die essentielle Masse des Steins, ich arbeite mit ihr und arbeite gegen sie gleichermassen", sagt Jacobi, eingenommen von dem autarken Wesens des Steins, von der Einzigartigkeit des Wesens des Steins, bar jeglicher Inhaltlichkeit.

Aber seit 1979 widmet sich Peter Jacobi, in der Weise eines Archaeologen und Historikers sui-generis, der Nachforschung der juengeren Vergangenheit. Mit einer aus der kuenstlerischen Praxis kommenden Haltung entdeckt Jacobi die Truemmerberge am Rande deutscher Staedte, die fuer das unbefangene Auge als einfache, von Vegetation bewachsene, malerische Huegel erscheinen. Sichtbare "verborgene" Zeichen des letzten Weltkrieges. Es sind zufaellig entstandene Gedenkstaetten. Seit 1979 stellt er Fotos dieser, "ohne Absicht entstandenen natuerlichen Monumente" aus. Hier finden wir eine Dialektik des Sichtbaren und des Unsichtbaren, der Anwesenheit und der Abwesenheit, die Jacobi expressiv festgehalten hat.

Ab einer gewissen Zeit seines Schaffens erscheint in den meisten seiner Werke, geschichtet und ineinander verwoben, ein uraltes Thema, das der alles verschlingenden Zeit. Die Entdeckung der Vergangenheit fuehrt Jacobi zu einer "Versoehnung" mit aelteren Determinierungen der Bildhauerei.

Die Bildhauerei darf hier wieder inhaltliche Bedeutungen erhalten, die jenseits ihrer selbst liegen. Das Denkmal scheint hier wieder notwendig zu werden, um seine Funktion als soziale Einrichtung zu sichern, die das Vergessen verhindert, die Beziehungen der Gesellschaft zu ihrer Vergangenheit regelt und den Kreislauf der Werte aus der Vergangenheit in die Gegenwart und umgekehrt aufrecht erhaelt. Es erscheinen in Jacobis Kunst Werke wie "Memorials", "Epitaph" oder "Resurrection". Manchmal zielen die Hinweise direkt auf Ereignisse des II. Weltkrieges oder auf Personen dieser Zeit, wie Claus Graf Schenck von Stauffenberg. Die ihm gewidmeten Memorial-Skulpturen vereinigen einige der kuenstlerischen Intentionen Jacobis. Er verzichtet nicht ganz auf die Mittel seiner konstruktiven Vorstellungen, die jedoch hier einer Inhaltlichkeit dienen. Sie haben andere Aufgaben, naemlich die Welt zu erforschen. Die Wasserschicht am Boden des "Sarkophags" spiegelt sich in der oben liegenden Glasplatte, die wie ein doppelseitiger Spiegel wirkt.

Mit dem Spiegel und der Spiegelung dringen wir in ein faszinierendes Gebiet vor, mit einer uralten, komplizierten und widerspruechlichen Symbolik. Der Spiegel als Allegorie einer praezisen Vorstellung und der Weisheit, aber auch als Matrix der Illusion liegt der Spiegel einigen Begriffen zugrunde, wie etwa Nachdenken oder Spekulieren im urspruenglichen Sinne der Meditation, des Studiums, der Forschung. Die Spiegelung als physisches Phaenomen, begleitet von ihrem ganzen symbolischen Nimbus, hat in diesem Werk die Aufgabe, den irdenen Raum mit dem Kosmischen zu verbinden. In diesem Raum ist gerade auch der Betrachter eingeladen, sich selbst einzubringen.

Der unterirdische Memorial behandelt unter anderem das gleiche Thema des Sichtbaren und des Unsichtbaren, es ist gleichzeitig ein Beispiel visionaeren gestalterischen Ausdrucks, der auch durch virtuelle Bilder veranschaulicht wird.   

Es gibt eine Reihe von Bildern die als Ausgangspunkt Fotos von Grabstaetten haben, wie die von George Enescu, Dinu Lipatti, Emil Cioran, Paul Celan, Eugene Ionesco, George Apostu, Ilarie Voronca, Tristan Tzara, Georges Brassai.  Diese Werkgruppe ist als Hommage an diese Kuenstler gemeint. Aus historischer Sicht entstammt die Gedenkstaette, das Denkmal - so wie es Erwin Panofski beschrieben hat - der Gestalt der Grabstaetten. Peter Jacobi hebt diese Dualitaet zwischen Gedenken und Verehrung in subtiler Weise hervor. Der Kommentar, den der Kuenstler zu diesen Fotos oder Fotomontagen macht, ist nuechtern, objektiv, unbeteiligt, zurueckgenommen, denn er wuerdigt eigentlich nicht teilnahmslos Persoenlichkeiten eines Ehrentempels oder Namen einer Enzyklopaedie des Exils (der er ja auch angehoert); er stimmt kein Loblied an, es sind alle seine Toten, die Teil seiner Existenz und kuenstlerischen Laufbahn sind. Kein Wunder, dass Autobiographisches direkt in Betracht gezogen wird. Ein Werkzyklus wurde "Transilvanica", ein anderer "Romanica" benannt.

Dorothee Bauerle, eine Kennerin von Jacobis Werk, entdeckte einen wissenschaftlichen Zug in Jacobis Vorgehen. Wenn Peter Jacobi zum Beispiel tief in einen Huegel eingreift und Tonnen Erde aushebt, um einen Schnitt durch die Schichtungen des Humus zu erhalten und diesen Einschnitt mittels einer glaesernen Wand absichert, so sieht man wie in einem Aquarium das Erdinnere mit seinem Gewimmel von Wurzeln und Wesen. Aehnliches gibt es in Dornach im Garten des von Rudolf Steiner geschaffenen Goetheanums. Aber diese "Erdskulptur" (1995, Talau, Waiblingen) mit ihrer "wissenschaftlichen" Komponente wird ihrerseits zu einer Art Arbeitsmaterial, geeignet fuer Interpretationen oder moeglicherweise fuer Umdeutungen im Laboratorium des Gedaechtnisses. Die Farbfotografien, die in diesem Erdrelief entstanden sind, ergeben eine eigene Werkgruppe. Zum Teil zeigt sie die sich veraendernde Natur hinter den Glasscheiben, zum anderen sind es gestellte Situationen, die sich in ihrer Reflexion mit der Reliefstruktur ueberlappen. Beispiele dieser Serie sind "Grosser Akt", eine Art neolitische Venus, sowie "Selbst in meiner Skulptur", ein seltsames unterirdisches Selbstbildnis, in dem sich die vegetative Struktur des Erdreliefs mit den verschwommenen Umrissen Jacobis ueberlappt. Der "Grosse Akt" scheint in der Erde verwurzelt zu sein, doch seine Vitalitaet bleibt bestehen und wartet auf die Wiedergeburt. Der "wissenschaftliche Anteil" des Erdreliefs ist von Empfindungen korrigiert.

Dr. Ioana Vlasiu 
Bucuresti


 

   
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The Palimpsest of Peter Jacobi




Modulare Säule, 1993, vor dem Landratsamt in Pforzheim, Gusseisen, 860x120x120 cm

Modular Column, 1993, in front of the Regional Administration Building,
cast iron, 860x120x120 cm 




The material Peter Jacobi uses in his work is not - as might be assumed at first glance - one of the traditional and more or less precious substances which sculptors have always employed:

Stone, bronze, steel, concrete, glass, wood… neither is it water, nor salt, textile fabric, hair, or any other of the more unconventional materials that can be found in abundance in contemporary works of art; and it surely isn’t photographic paper or the computer-generated virtual image (though Jacobi now uses this technique quite frequently in the expression of his creative purpose and stance). No – Jacobi’s true substance is Time. He works with Time, on Time, and maybe even against Time. Despite their diversity his works constitute an artistic whole, their themes blending polyphonically. They can be characterised by concepts such as memory remembrance, recollection, and oblivion.

One might object that any attempt to individualise Jacobi this way is doomed to fail because sculpture is inseparable from the practice of commemoration and that the monument itself, be it funeral or commemorative, is a meditation on time. However, one cannot ignore the tense relationship between the monument and monumentality, on the one hand, and modernity, on the other, as well as the fact that there has been talk of a decline of the monument ever since Auguste Rodin. Thus we would deal with the missed encounter between contemporary sculpture and the monument and monumentality.

If a contemporary artist chooses to place the reflection on Time at the centre of his art, we suspect a distanced approach to classic modernism. Yet Peter Jacobi claims to be a modern artist himself in that he keeps believing for instance in the “genuine beauty of geometrical form”. Paradoxically, his geometric forms gain their simplicity and purity from the complex ways in which they are created. This brings to mind a Brancusi’s famous aphorism: “Simplicity is resolved complexity”.

The variations on the theme of overlapping and interacting rings, the modular columns are basic structures that depart entirely from the figurative tradition of sculpture. In fact, the minimalists’ concept, to which Jacobi draws near, has been defined as a “refusal of anthropocentrism” (Margit Rowell). In Jacobi’s work, the essential qualities of the material, such as the autarchy, the uniqueness of the stone devoid of any content are fundamental for his attitude.

However, in 1979, Peter Jacobi casts himself in the roles of an archaeologist and a historian and undertakes the investigation of the recent past. Relying on his artistic experience, he reveals with his camera the rubble mountains, which, to the uninformed viewers, are, in fact, visible although imperceptible signs of WW II on the outskirts of German cities. These are involuntary monuments. One cannot help but notice the dialectic of the visible and the invisible, of presence and absence, to which the artist is sensitive.

From a certain point in time onwards, an age-old theme, multilayered and interwoven, is apparent in most of Jacobi´s works: that of all-devouring Time. The discovery of the past leads Jacobi towards the reconciliation with earlier determinations of sculpture. Here sculpture is free again to be given meaning and content beyond its own self. Here the memorial seems to become essential once more, securing its function as a social memento that prevents us from forgetting. As such, it determines the relationship between the society and its past, and secures the circulation of values from past to present and from present to past.

In Peter Iacobi’s oeuvre, memorials and works like Epitaph, Resurrection are rather frequent. Sometimes they make direct reference to events like WW II, or to persons like Count Claus Schenck von Stauffenberg. In the Memorial dedicated to the Count, the reflections from the surface of the water on the bottom of the “sarcophagus” merge with those on the glass plate as if it were a two-faced mirror. In the act of mirroring, we enter a fascinating realm bearing ancient, complicated and contradictory symbols. An allegory of the accurate vision, of truth and wisdom, the mirror may as well stand for their opposite – the realm of illusion. Concepts such as reflection and speculation (Latin, speculum> mirror) meaning meditation, study, investigation are related to the notions of mirror and mirroring. In this sculpture, mirroring, as a physical phenomenon, together with its entire symbolic aura, is called upon to merge the terrestrial and celestial spheres, to create an ambiguous space, which is nevertheless concrete and which aims to involve the viewer.

Historically speaking, the memorial is descended from the tomb, as Erwin Panofski argued in his studies. In a very subtle manner, Peter Jacobi emphasises the difference between glorification and remembrance in the photoworks based on images of the graves of George Enesco, Dinu Lipatti, Emil Cioran, Paul Celan, Eugene Ionesco, George Apostu, Ilarie Voronca, Tristan Tzara, Georges Brassai. The references made by the artist himself, as far as these photoworks are concerned, are cool, objective and detached, as if attempting to dissimulate. For, in fact, he does not glorify names in a pantheon or enumerations of famous exiles (he himself being a migrant), he does not “erect statues”. For Iacobi, all these men are his own loss, part of his life as well as of his artistic career.

Dorothee Bauerle, a connoisseur of Jacobi´s work, has described a scientific trait in the way Jacobi proceeds. If for example he cuts deeply into a hill by moving tons of earth in order to obtain a section through the layers of humus and then secures this section with a glass wall, the inside of the hill is seen as in an aquarium, with all the entanglement of roots and teeming mass of little creatures. Something similar, created by Rudolf Steiner, can be found in Dornach, in the garden of the Goetheanum. But Jacobi´s “Earth Sculpture” (1995, Talau, Waiblingen) with its “scientific component” turns into some kind of working material itself, open to interpretations and possibly reinterpretations in the laboratory of individual memory.

The colour photographs of this earth relief have themselves turned into a distinct group of art works. They partly show the ever chancing nature behind the glass screens, partly pre-arranged events with human bodies which overlap with their own reflections in the relief structure. Examples from this series are “Large Nude”, a kind of Neolithic Venus, and “Myself in my own Sculpture”, a strange underground self-portrait in which the vegetative structure of the earth relief overlaps with the blurred silhouette of Jacobi himself. The scientific aspect of the earth relief has been counterbalanced by an emotional component. The “Large Nude” seems to be rooted in the earth, but its vitality remains and is awaiting rebirth.

Dr. Ioana Vlasiu
Bucharest